Das folgende Interview wurde am Rande einer Informationsveranstaltung (im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Tag des politischen Gefangenen 2005) am 8.01.2005 im Berliner Mehringhof von der Gruppe Göteburg/Genua Soli mit Laura Tartarini (Rechtsanwältin aus Genua)und Luka (einem Mitarbeiter vom "Rechtlichen Sekretariat", einer Gruppe aus Genua die die Prozessen beobachtet) geführt. Es ging dabei um den Stand der Prozesse im Rahmen der Ereignisse in Genua 2001, in denen linken AktivistInnen Haftstrafen von 6-15 Jahren drohen.

Laura, kannst Du kurz etwas über den Stand des Verfahrens gegen die 26 Menschen sagen, die seit März wegen der Proteste in Genua 2001 vor Gericht stehen? Was ist im Laufe des Jahres 2003 passiert?

Laura: Die Prozesse haben am 2. März 2004 angefangen. Es gab bisher 33 Sitzungen, bei denen wir bisher 90 ZeugInnen der Staatsanwaltschaft gehört haben. Die ersten ZeugInnen der Anklage schilderten die allgemeine Atmosphäre und Situation in Genua während des Gipfels. Zumeist bestätigten sie dabei nicht die These der Staatsanwälte, nach der es zu noch nie da gewesenen Verwüstungen und Plünderungen gekommen sei. Einwohner von Genua und auch einige Polizisten sagten aus, dass sich die Sachschäden und Plünderungen in Grenzen gehalten hätten. Ich denke, dass wir erst ab März oder April dieses Jahres mit der Anhörung unserer Zeugen beginnen werden. Gibt es eine gemeinsame Verteidigungsstrategie? Laura: Ja, es gibt eine gemeinsame Strategie, doch es ist ein sehr schwieriger Prozess. Die Ankläger haben das Konstrukt der "neuen" Straftat Verwüstung und Plünderung fabriziert. Alle 26 werden sind wegen diesem Strafbestand angeklagt, obwohl ihnen sehr unterschiedlichen Sachen vorgeworfen werden. Bis jetzt lief unsere Strategie ziemlich gut. Wir haben es zum Beispiel geschafft zu aufzuzeigen, das der Polizeifunk eindeutige Befehle, wie z.B.: "Geht auf die Strasse und massakriert sie", ausgab. Das ist für unsere Beweisführung sehr wichtig, weil es klar macht, dass die Polizei sehr gewalttätig war. Wir werden mit unseren ca. 150 ZeugInnen versuchen aufzuzeigen, dass es völlig anders in Genua aussah, als wie die Anklage suggeriert. Die Polizei spielte eine aktive Rolle in den Auseinandersetzungen und griff Menschen an. Die Gewalt ging in erste Linie von der Polizei aus. Wir wollen zeigen, dass das, was den Leuten jetzt vorgeworfen wird, eine normale Reaktion auf diese außergewöhnliche Situation war.

In unserem letzten Interview im Juni 2004 hast du gesagt, dass du noch die Eröffnung von 50 weiteren Verfahren erwartest. Bis jetzt hat sich in dieser Hinsicht nichts getan. Kannst du etwas über deine heutige Einschätzung sagen?

Laura: Niemand äußert sich dazu. Wenn wir versuchen, mit der Staatsanwaltschaft über die 50 noch offenen Verfahren zu reden, sagen sie, dass sie derzeit nicht in der Lage sind, die Ermittlungen zu beenden, weil sie so viel zu tun haben. Wir denken, dass dieser Prozess der Staatsanwaltschaft peinlich ist, weil er aufzeigt, wie die Polizei und der Staat damals agierten, um die Proteste in Genua zu kriminalisieren. Wahrscheinlich wollen sie jetzt erst den weiteren Verlauf der Prozesse abwarten. Vielleicht machen sie nach diesen Prozessen mit den anderen weiter, doch das könnte noch ein paar Jahre dauern. Kannst du etwas über den Prozess in Cosenza erzählen. Seit wann und gegen wen läuft dieser Prozess? Laura: Der Prozess in Consenza hat vor ca. zwei Jahren angefangen. Zu Beginn sah es so aus, als ob dieser Prozess wegen der Auseinandersetzungen in Neaples im Zusammenhang mit dem global forum einige Monate vor Genua stattfindet. Damals waren 13 Menschen verhaftet worden, GenossInnen von Cobas und Sud Ribelle, einem Netzwerk in Süd Italien und jemand von den Disobiente. Im Laufe des Jahres stellten wir aber fest, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ausweiten wollte. Die Auseinandersetzungen in Genua wurden in die Anklageschrift aufgenommen und mittlerweile wird den Angeklagten vorgeworfen, eine subversive Vereinigung mit dem Ziel die wirtschaftliche Basis Italiens zu zerstören gebildet zu haben. Abhörprotokolle von Telefongesprächen, emails, aber auch "normale" Sachen, so wie Flugblätter und Pamphlete, die die ökonomische Globalisierung oder die europäische Migrationspolitik kritisieren, wurden als Beweismaterial aufgenommen. Die Angeklagten sollen nun die OrganisatorInnen der Krawalle von Genua und Neapel gewesen sein.

Luka (Name geändert): Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Anklage total absurd ist. Es ist total verrückt zu denken, 13 Menschen seien in der Lage, 300000 Leuten auf die Strassen zu bringen.

Laura: Ihnen droht 6 bis 15 Jahren Knast. Am Anfang haben wir noch gelacht, weil sich die Anklage sich so absurd anhörte und dachten, sie könnte so nie standhalten. Aber sieht der Vorwurf so aus. Die Globalisierungsbewegung, die bis dahin noch wenig von Repression betroffen worden war, bekam in Genua und Göteborg einen Vorgeschmack auf das, was passiert, wenn Menschen mit radikalen Mitteln die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen.

Gibt es Anregungen von euch, wie aus den Erfahrungen von Genua und anderer Ereignisse gelernt werden kann, auch in Bezug auf die kommenden Gipfel in Schottland 2005 oder 2007 in Deutschland?

Luka: Ich kann nur von meinen Erfahrungen in Genua und Evian ausgehen. Ich denke, es ist sehr wichtig, die Leute schon bei ihrer Ankunft über Gesetze, ihre Rechte und über das, was sie tun können oder und nicht tun sollten, zu informieren. Außerdem sollten sie Telefonnummern von Anwälten oder eines Ermittlungsausschusses haben. Vor allem kommt es darauf an, dass es Kontakte zu den Anwälten vor Ort gibt. Was in Genua sehr gut lief war, dass es einen Ermittlungsausschuss mit ÜbersetzerInnen gab, wir hätten uns nur auf eine mögliche Zerschlagung dieser Struktur vorbreiten sollen...

Was läuft gerade politisch zu den Prozessen in Italien? Wie gehen die Organisationen damit um, die damals zu den Protesten gegen den G8-Gipfel aufgerufen haben?

Luka : Die machen gar nichts. Im Allgemeinen gibt es keine große politische Organisationen, die sich um die juristischen Konsequenzen von Genua kümmern. Sie verhalten sich nicht solidarisch mit den Angeklagten und zeigen auch kein Interesse an den Prozessen gegen die Bullen. Die einzigen Gruppen, die sich praktisch verhalten, sind kleine Kollektive, die z.B. Informationen auf lokaler Ebene verteilen. Es gibt das Komitee für Wahrheit und Gerechtigkeit, das Presse-Arbeit macht, sich aber vor allem für die Prozesse gegen die Bullen und deren Übergriffe interessiert. Das, was gerade gut läuft, ist die Verbreitung von Informationen. Die Medienkollektive in ganz Italien verfolgen die Prozesse und informieren über sie in ihren Medien. Bei Indymedia z.B. gibt es Menschen, die die Prozesstage verfolgen und Berichte darüber in mehreren Sprachen veröffentlichen. Die Medien der linken Bewegung funktionieren also. Was aber fehlt ist, dass diese Informationen dazu benutzt werden, um zu mobilisieren oder eine Kampagne zu beginnen. Eine andere Solidaritätsarbeit als das Weiterleiten von Informationen an die eigenen Medien gibt es kaum. Das ist ein großes Problem.

Im Juli 2001 waren 300.000 Menschen in Genua auf der Strasse und auch in Göteborg war viel los. Du hast auf unserer Veranstaltung erzählt, dass viele in Italien ähnlich wie in Deutschland die Ereignisse von damals vergessen zu haben scheinen und dieses ein Grund für die geringe Solidarität mit den Angeklagten ist. Wie kannst du Dir diesen "kollektiven" Gedächtnisschwund erklären?

Luka: Ich denke, dass viele von den Ereignissen traumatisiert waren und deswegen probieren, die Ereignisse aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Verdrängung ist eine logische psychologische Reaktion, die außerdem noch durch das große Schweigen der Medienmaschinerie und der politischen Organisationen verstärkt wird. Niemand redet mehr über die Ereignisse, niemand macht was. So entstand ein kollektives Verdrängen dieser Tage und seiner Folgen. Das ist ein Problem für uns, einerseits weil für uns in Genua jegliche Demonstrationsfreiheit aufgehoben wurde und zum anderen, weil es so viele gab, die in diesen Tagen dem etwas entgegensetzten. Und diejenigen sind jetzt angeklagt, weil sie für alle 3000000 viele Jahre Knast riskierten. Deshalb müssen wir sie heute unterstützen und dürfen sie nicht einfach vergessen. Alle Leute, die in Genua waren, sind verantwortlich für das, was passiert ist.

Gibt Initiativen in Italien, die versuchen diesem kollektiven Gedächtnisschwund etwas entgegenzusetzen?

Luka: Nicht auf der psychologische Ebene. Die italienische Bewegung zeigte noch nie Stärke im Umgang mit kollektiven Traumata, das passt nicht in ihren politischen Umgang. Aber es gibt einige, die versuchen diese Arbeit zu leisten, und das kann dazu beitragen, dass die Leute sich wieder anfangen zu erinnern.

Einige politische Gruppen in Italien verstehen die Repression von Genua als einen Versuch der Berlusconi-Regierung, die italienische Opposition einzuschüchtern? Wie seht Ihr das?

Laura: Ich denke, das stimmt nicht. Die Staatsanwaltschaft kommt aus einem "linken" Hintergrund und steht in Verbindung mit der Sozialdemokratischen Partei Italiens. In Italien haben wir eine rechte Regierung und die will die Macht der Gerichte einschränken, auch in Bezug auf die Prozesse gegen Berlusconi und die Mafia. Die institutionelle Linke in Italien dagegen will den RichterInnen mehr Macht geben. Als Konsequenz daraus verteidigt sie die angeklagten PolizistInnen von Genua und hat große Probleme mit den Prozessen gegen die linke Bewegung. Luka: Ich denke, die Regierung hat gar keine Angst vor diesen Menschen, weil sie meint alles unter Kontrolle zu haben. Angst haben sie jedoch vor Gesetzen und RichterInnen, weil sie die nicht unter Kontrolle zu haben scheinen und deshalb selber wegen ihres Vorgehens rechtlich verfolgt werden könnten. Die Linke in Italien hat sich mehr und mehr in Richtung der gesellschaftlichen Mitte bewegt und mittlerweile eine legalistische Haltung eingenommen. Sie machen viel Lobbyarbeit und das hat dazu geführt, dass es in Italien viele "linke" RichterInnen gibt, die u.a. auch in Genua aktiv sind. Doch die institutionelle Linke grenzt sich von so genannten "gewalttätigen" Demonstranten ab und wollen zeigen, dass ihre RichterInnen korrekt sind. Es gibt also einen politischen Willen ihrerseits, den Rechten zu zeigen, dass sowohl die Regierung als auch die so genannten "gewalttätigen" Demonstranten bestraft werden. Damit hätte das Recht gesiegt und alle lebten glücklich bis ans Ende der Welt.

Luka, kannst Du noch etwas über die Arbeit der Unterstützungsgruppen in Genua sagen!

Luka: Es gibt zwei Gruppen: das Rechtsbüro, eine Gruppe von 10 Leuten, die die Vorbereitungsarbeit für die Prozesse macht, was konkret bedeutet, dass sie das Beweismaterial sortieren - Videos, Dokumente, Fotos und so weiter. Sie unterstützen also die Anwälte in ihrer Prozessvorbereitung, weil es so viel Material gibt, das gesichtet werden muss. Die Unterstützungsgruppe hat ein größeres Umfeld. Sie kümmert sich um die Finanzen und das Verbreiten von Informationen, also das Publizieren von Prozessberichten und die Übersetzungen in verschiedene Sprachen.

Was für Unterstützung braucht ihr?

Luka: Auf der einen Seite wollen wir, dass die Informationen so breit wie möglich verbreitet werden. Mehr Menschen sollen mitbekommen, was passiert und auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, sich wieder zu erinnern und daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Auf der andere Seite brauchen wir Geld um die technische Kosten zu tragen .